Humboldt-Universität zu Berlin - Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät - Institut für Slawistik und Hungarologie

Institutsgeschichte

Die Slawistik an der Humboldt-Universität zu Berlin kann auf eine mehr als 150jährige Geschichte zurückblicken.

Die Slawistik an der Humboldt-Universität zu Berlin kann auf eine mehr als 150jährige Geschichte verweisen. Erster Slawist an der Berliner Universität ist Wojciech Cybulski . Er lehrt hier ab 1841 als Privatdozent, bis er 1861 in Breslau eine Professur erhält. Zum ersten ordentlichen Professor wird 1874 Vatroslav Jagic auf den Berliner Lehrstuhl für slavische Sprachen und Literaturen berufen. Er lehrt hier 6 Jahre und gründet das "Archiv für slavische Philologie", das sich zur führenden wissenschaftlichen Zeitschrift der internationalen Slawistik entwickelt und bis 1929 in Berlin herausgegeben wird. Sein Nachfolger, Aleksander Brückner, wirkt 44 Jahre (1881-1924) als Professor in Berlin. Ihm gelingt es, durch seine langjährigen, vielseitigen sprachwissenschaftlichen und literaturgeschichtlichen Forschungen und Publikationen, die Slawistik von einem Zweig innerhalb der Indogermanistik zur Anerkennung als selbständige Neuphilologie neben der Anglistik und Romanistik zu führen. Diese ersten Berliner Slawisten müssen jedoch weitgehend im Alleingang wirken; erst 1894 werden ein Lektor für Russisch, 1919 für Ukrainisch, 1921 für Polnisch und Serbisch eingestellt, jedoch nicht am Lehrstuhl für slavische Sprachen und Literaturen, sondern am Seminar für orientalische Sprachen bzw. für osteuropäische Geschichte.

Erst Max Vasmer (1925-1947 an der späteren HU) kann erreichen, daß mit seinem Antritt auch ein Seminar für Slavische Philologie gegründet wird, das bald die Bezeichnung Slavisches Institut erhält. Je ein Lektor für das Russische, Polnische und Bulgarische werden 1926 aus dem Seminar für osteuropäische Geschichte an das Slavische Institut übernommen, und 1927 kommen noch je ein Lektor für Tschechisch und Serbokroatisch hinzu. Erstmalig steht auch die Stelle eines wissenschaftlichen Assistenten zur Verfügung (besetzt 1925 durch Margarete Woltner).
Eine eigene Bibliothek wird gegründet, in die als Grundbestand die slawistischen Bestände des Indogermanischen Seminars eingehen und die bis 1945 auf 35 000 Titel anwächst. Max Vasmer ist der letzte Professor auf dem Berliner Lehrstuhl, der sprachwissenschaftliche Lehrveranstaltungen zu fast allen slawischen Sprachen und zugleich auch Vorlesungen zur russischen Literatur von der ältesten Zeit bis ins 19. Jahrhundert hält. Unter seiner Leitung werden die "Veröffentlichungen des Slavischen Instituts" und die "Zeitschrift für slavische Philologie" herausgegeben.

Die Tätigkeit des Instituts erleidet in der Zeit des Faschismus eine starke Beeinträchtigung, insbesondere während des Krieges sind auch Lektorate zeitweise nicht besetzt, nach 1941 erscheinen keine Veröffentlichungen des Instituts mehr. Die Bibliothek verliert im letzten Kriegsjahr einen großen Teil ihrer Bestände. Trotzdem finden bis Februar 1945 Lehrveranstaltungen statt.

Mit der Wiedereröffnung der Universität 1946 nimmt auch das Slavische Institut seine Tätigkeit wieder auf. Vasmer und Woltner beginnen ihre Vorlesungstätigkeit mit dem Wintersemester 1946/47. Das Studienprogramm bleibt zunächst auf die Ausbildung in russischer Sprache und Literatur beschränkt, die Erarbeitung von Studienplänen erfolgt "in enger Zusammenarbeit" mit der sowjetischen Militärverwaltung. Max Vasmer läßt sich aufgrund wachsender politischer Konflikte beurlauben und nimmt ab Wintersemester 1947 eine Gastprofessur in Stockholm wahr, um anschließend an der neugegründeten Freien Universität in West-Berlin seine Tätigkeit fortzusetzen.

In dieser Zeit übernimmt Margarete Woltner die Leitung des Instituts und die Herausgabe der "Zeitschrift für slavische Philologie". 1950 verläßt auch Margarete Woltner, die sich u.a. auch um die Erarbeitung erster Schullehrbücher der russischen Sprache verdient machte, nach 25jähriger Tätigkeit das Institut. Im Juli 1950 übernimmt Hans Holm Bielfeldt den Lehrstuhl für slavische Philologie und die Leitung des Instituts, die er bis 1968 innehat.

Die Einbindung der DDR in den sowjetischen Machtbereich wirkt sich auch auf die Slawistik aus: einerseits in einer forcierten Ausbildung von Lehrern (Russisch ist erste Schulfremdsprache) und Übersetzern/Dolmetschern für osteuropäische Sprachen, andererseits in einer affirmativen Ideologisierung der Methoden und Inhalte. Nonkonforme Wissenschaftler geraten zunehmend unter Druck, ihre akademische Karriere wird verhindert.

Die Zahl der Mitarbeiter vergrößert sich von 3 Lektoren und 1 Assistenten 1950 auf 15 Lektoren und 15 Assistenten 1961. Zusätzliche Professuren und Lehraufträge, spezifiziert auf einzelne Nationalslawinen bzw. auf Literatur- oder Sprachwissenschaft werden eingerichtet. Das Institut ist jetzt in fünf Fächer gegliedert, in denen jeweils Sprache und Literatur vermittelt werden: Russisch, Polnisch, Tschechisch, Bulgarisch, Serbokroatisch. Hauptformen der Studienabschlüsse sind das Examen für Russischlehrer (bis 10. oder 12. Klasse), Diplomanden- und Doktorandenexamen mit zwei bzw. drei slawischen Sprachen, ab 1962 auch Diplom-Dolmetscher/Übersetzer (eine Dolmetscherausbildung gab es an der Humboldt-Universität schon ab 1894 am "Seminar für orientalische Sprachen" und später an der "Auslandswissenschaftlichen Fakultät", die nach 1945 nicht wiedereröffnet wurde).

Neben der Lehre gibt es seit 1950 auch wieder eine beachtliche Forschungs- und Publikationstätigkeit, die sich in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Slawistik der Deutschen Akademie der Wissenschaften vollzieht, dessen Direktor ebenfalls Bielfeldt ist.
In der Folgezeit setzt sich jedoch die Tendenz zu einer auch institutionellen Trennung von Forschung (Akademie) und vorwiegend Lehre (Universität) durch. Das Akademie-Institut, übernimmt die "Veröffentlichungen des Instituts für Slawistik" und gibt ab 1956 die "Zeitschrift für Slawistik" heraus. Besonders befähigte Absolventen der Universität nehmen ihre wissenschaftliche Tätigkeit am Akademie-Institut auf.

1968/69 erfolgt mit der 3. Hochschulreform eine organisatorische Umstrukturierung der Universität, die Slawistik ist zunächst in der Sektion "Philologien - Germanistik", danach in der "Sektion Fremdsprachliche Philologien" eingebunden, bis sie ab 1973 als "Sektion Slawistik" wieder eine organisatorische Selbständigkeit erlangt. Das ehemalige Finnisch-Ugrische Institut wird als Bereich Hungarologie ab 1973 in die "Sektion Slawistik" integriert.
Mit der Reform vollzieht sich eine noch stärkere Konzentration der Universität auf die Ausbildung von Diplomlehrern für Russisch und Diplomsprachmittlern für Russisch, Polnisch, Tschechisch, Slowakisch, Bulgarisch, Serbokroatisch und Ungarisch. In der Lehrerausbildung werden die Unterrichtsmethodiken (Fachdidaktiken), die früher zur pädagogischen Fakultät gehört hatten, den entsprechenden Fachdisziplinen zugeordnet. Für den Abschluß Diplom-Slawist (mit zwei slawischen Sprachen) wird in der Regel nicht immatrikuliert. Hierfür werden etwa alle zwei Jahre einzelne besonders befähigte, interessierte Studenten nach dem zweiten Studienjahr ausgewählt. Außerdem wird ein Abendstudium mit dem Fachschulabschluß Sprachmittler für Russisch eingerichtet. Ab Mitte der 70er Jahre gibt es für einen Teil der Studenten zunehmend die Möglichkeit eines einjährigen oder einsemestrigen Auslandsteilstudiums.

Nach 1990 erfolgt eine Umstrukturierung und Neuorientierung in Lehre und Forschung, alle Professuren werden neu ausgeschrieben und etwa die Hälfte der Stellen mit neuen Kandidaten besetzt. Obwohl der Personalbestand des Instituts deutlich zurückgeht, wächst bei freier Immatrikulationsmöglichkeit der Zustrom der Studenten, vor allem in die neu aufgenommenen Studiengänge Magister und Diplom-Übersetzer/Dolmetscher. Seit 1992 steigt die Zahl der Studierenden von 450 (SS 1992) auf 1273 (SS 1997).

Die wesentlichen konzeptionellen Gesichtspunkte, die in den Jahren 1992-94 die Arbeit der für die Evaluation des Instituts für Slawistik verantwortliche Struktur- und Berufungskommission für den FB Fremdsprachliche Philologien bestimmen, sind: eine Reintegration von Forschung und Lehre bei Beibehaltung einer maximalen einzelslawistischen Ausdifferenzierung, nicht zuletzt mit Berücksichtigung des Standorts Berlin als ost/westeuropäischer Kulturdrehscheibe. Magisterstudiengänge für 6 Einzelslawinen sowie für die Hungarologie werden neu eingerichtet. Die Lehrerausbildung im Russischen wird, wenn auch mit einer deutlich geschrumpften Anzahl von Lehrenden, beibehalten (und ist, seit der Einstellung dieses Studienganges an der FU, ab 1995 die einzige in Berlin). Ebenfalls beibehalten werden die Übersetzer- und Dolmetscher-Diplomstudiengänge für Russisch und die anderen Slawinen.

Die slawistische Bibliothek konnte nach der Wende, nicht zuletzt unterstützt durch die Berufungsmittel der neu ernannten Professoren, ihren Bestand deutlich vergrößern (auf gegenwärtig 80 000 Bände) und insbesondere Fehlbestände aus der westlichen Fachliteratur auffüllen.


Adalbert Wojciech Cybulski (1810-1867)
Studium und Promotion (1831) an der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität, 1841 Habilitation, ab 27.10.1841 Privatdozent an der Berliner Universität wird er wegen seiner politischen Tätigkeit und aktiven Unterstützung der polnischen Freiheitsbewegung hier nicht zum Professor berufen, ab 1861 Professor in Breslau, wo er 1867 stirbt.
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Vatroslav Jagic (1838-1923)
Studium in Wien, 1871 Promotion, Mitglied der südslavischen Akademie in Agram (Zagreb), ab 1972 Professor für vergleichende Sprachwissenschaft in Odessa, 1874 Berufung auf den Berliner Lehrstuhl für slavische Sprachen und Literaturen. Ab 1876 Herausgabe des "Archivs für slavische Philologie" gemeinsam mit Leskien (Leipzig) und Nehring (Breslau). Nimmt 1880 die Berufung auf den slavistischen Lehrstuhl in Petersburg an, die Zeitschrift wird weiter (bis 1929) in Berlin herausgegeben.
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Aleksander Brückner (1856-1939)
Studium in Wien, dort bereits mit 20 Jahren Promotion und 1878 Habilitation, Privatdozent an der Lemberger Universität, ab 1881 Beginn der Tätigkeit in Berlin, hier 1892 zum ordentlichen Professor ernannt, hat er den Lehrstuhl bis 1924 inne und ist auch nach seiner Emeritierung noch in der Forschung tätig.
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Max Vasmer (1886-1962)
In Petersburg als Sohn deutscher Eltern geboren, dort Studium der slavischen Philologie und Indogermanistik, 1910 Habilitation, 1917 Professor in Saratow, 1919 in Dorpat (Tartu), 1921 in Leipzig. 1925-1947 Berlin, 1947-48 Stockholm, 1949-1956 Freie Universität Berlin.
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Margarete Woltner (1897-1985)
Geboren in Riga, Studium in Petrograd (1916), Jena (1919) und Leipzig (1920-23) Slawistik, Baltistik, Geschichte der Philosophie. 1923 Promotion. Ab 1925 Assistentin am Slavischen Institut in Berlin, hier 1937 Habilitation, 1939 Dozentur und ab 1946 Professur, danach ab 1950 in Mainz und 1953-1965 in Bonn.
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Hans Holm Bielfeldt (1907-1987)
Studium in München und Berlin, Promotion 1931 und Habilitation 1942 in Berlin, 1945/46 Tätigkeit an der Universität Hamburg, 1948 Professor für Slavische Philologie an der Landeshochschule Brandenburg, 1950-1972 Professor an der Humboldt-Universität und bis zur Hochschulreform (1968) Institutsdirektor des Slavischen Instituts, zugleich auch Direktor des Instituts für Slawistik der Deutschen Akademie der Wissenschaften.
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